Die Sanduhr
Es ist sehr schade, dass es sie kaum mehr gibt: Die Sanduhr. Vielleicht noch als Spielzeug oder als Kurzzeitmesser für die Küche und das Telefon. Ansonsten ist sie ein reiner Ziergegenstand geworden; die Zeit misst man heute viel genauer mit technisch komplizierten Uhren. Aber für mich hat die Sanduhr einen großen Symbolwert, eine Zeichenhaftigkeit, die mir mehr über meine eigene Zeitlichkeit sagt als eine elektronische Armbanduhr. Zuerst erinnert sie mich an die vielen Möglichkeiten in der Vorsehung Gottes, die noch über mir, vor mir sind. Ich weiß nicht, wie viele es noch für mich gibt und wann sie für mich zu Ende sind. Auch kann ich nicht sagen, wie viele Sandkörner noch bis zum Ablauf der Zeit vorhanden sind und wie viel Zeit mir noch gegeben ist. Ich weiß, meine Zeit wird einmal zu Ende sein, aber ich weiß nicht, wann.
Der Sand, das sind in seinen vielen Körnern die verschiedenen Möglichkeiten, die Gott für mich in der Zukunft bereit hält, und die einzelnen Sandkörner rinnen vorbei in meinem gegenwärtigen Bewusstsein. Das ist dort, wo die Sanduhr am engsten ist, wo ich den Lauf der Zeit wahrnehme, wo Gott mir die Möglichkeiten in die Hand gibt. Und alle Möglichkeiten dieser Vorsehung Gottes rinnen weiter, ich kann sie nicht halten, sie werden, ob ich will oder nicht, ein Teil meiner Erfahrungen, die sich im unteren Behälter der Sanduhr sammeln: Die Menge meiner Erfahrungen, die ich mit Gott gehabt habe, die Gott mir in den vielen Augenblicken meines Lebens als Erfahrung hat zuwachsen lassen, seien es gute oder auch schlechte Erfahrungen. Sie alle sammeln sich in der Geschichte und keines dieser Erfahrungskörner kann zurückgeholt werden oder nochmals durch das reale Bewusstsein meiner Person hindurch gelangen. Man kann sie nachträglich nur betrachten; sie sind im wahrsten Sinne „vorbei“.
Ich wünsche Ihnen viel Muße beim Nachdenken über Ihre Lebens-Sanduhr.