Alles geht vorüber
Liebe Schwestern und Brüder! Wir alle sind in dieser Zeit der Corona Pandemie in Panik. Es ist schwer, mit den Situationen fertig zu werden, mit denen wir jetzt konfrontiert sind. Aber eines haben wir nicht vergessen. Unser Gott sorgt für uns und kümmert sich um uns. Wir spüren die große Nähe Gottes, wenn wir fühlen, dass er so weit weg ist. Wir gingen nur vorwärts, ohne uns umzudrehen, um die Fürsorge und Nähe unseres Herrn und Gott zu sehen. Es ist eine Zeit, umzukehren und die wahre Gegenwart Gottes in unserem Leben zu spüren. Er lebt und er sorgt.
Bitte vergessen Sie nicht die Erfahrung und die Lektionen des Lebens, die wir in dieser Zeit der Schwierigkeit gelernt haben. Auch diese schwierige Zeit wird vergehen, aber unsere Erfahrung sollte in Erinnerung bleiben. Diese Krise birgt vielleicht auch die Chance, global ein neues Gespür zu bekommen für das, was im Leben so kostbar und wertvoll ist: füreinander ganz ohne Konkurrenz und kapitalistischen Wettbewerb einzustehen und Sorge zu tragen, sich selbst zurückzunehmen und das Gemeinwohl des Großen und Ganzen zu bedenken – gerade derjenigen, die jetzt besonders gefährdet und in ihrer Existenz bedroht sind. Diese Epidemie, dieses Virus nun lädt ein, nachzudenken und Werte zu entdecken, die wir mit der Zeit einfach verloren haben: dass nicht wir die Herren der Welt sind, dass Stress und Leistung nur bedingt lebbar sind, dass wir einander brauchen und zerbrechliche Wesen sind, dass allein Brot und Spiele die Menschen nicht zufrieden stellen, dass Religion – nicht nur die christliche – dem Menschen zum Leben hilft.
Unser Leben ist ein stetiger Wandel, eine Sinuskurve. Es gibt schlechtere Phasen und bessere. Die Tatsache, dass Leben Veränderung bedeutet, steht unserem Wunsch nach Sicherheit häufig gegenüber und wird entsprechend nicht immer wohlwollend angenommen. Passend zum Thema habe ich eine kleine Sufi-Geschichte gefunden:
Ein König befragte einmal die Weisen an seinem Hof und sagte zu ihnen: „Ich lasse mir einen wunderschönen Ring machen. Ich habe die besten Diamanten, die man bekommen kann. Ich möchte in dem Ring eine verborgene Botschaft haben, die mir in Zeiten völliger Verzweiflung helfen kann. Sie muss sehr kurz sein, damit sie unter dem Diamanten des Rings verborgen werden kann.“
All die Weisen, all die großen Gelehrten hätten lange Abhandlungen darüber schreiben können. Aber ihm eine Botschaft zu geben, die nur zwei oder drei Worte enthielt und ihm in Zeiten größter Verzweiflung helfen würde… Sie dachten nach, sie schauten in ihre Bücher, aber sie konnten nichts finden. Der König hatte einen alten Diener, der ihm fast wie ein Vater war. Er war schon der Diener seines Vaters gewesen. Die Mutter des Königs war früh gestorben, und dieser Diener hatte sich um ihn gekümmert. Deshalb wurde er nicht wie ein Diener behandelt, und der König hatte großen Respekt vor ihm.
Der alte Mann sagte: „Ich bin kein Weiser, bin nicht gebildet und nicht gelehrt, aber ich kenne die Botschaft. Es gibt nämlich nur eine Botschaft. Diese Männer können sie dir nicht geben. Nur ein Mystiker, jemand, der sich selbst erkannt hat, kann sie dir geben. Während meines langen Lebens im Palast bin ich allen möglichen Menschen begegnet, darunter einmal einem Mystiker. Er war bei deinem Vater zu Gast, und ich wurde ihm als Diener zugeteilt. Als er abreiste, gab er mir als Geste des Danks für meine Dienste diese Botschaft…“
Und er schrieb sie auf einen kleinen Zettel, faltete ihn zusammen und sagte zum König: „Lies sie nicht jetzt. Halte sie in deinem Ring verborgen und öffne sie erst, wenn alles gescheitert ist, wenn es keinen Ausweg mehr gibt.“
Diese Zeit sollte bald kommen. Das Land wurde überfallen, und der König verlor sein Reich. Er musste auf seinem Pferd fliehen um sein Leben zu retten, und die feindlichen Reiter verfolgten ihn. Er war allein; sie waren in der Überzahl. Er kam an einen Ort, wo er anhalten musste, weil der Weg zu Ende war – er stand an einer Klippe über einem tiefen Abgrund. Dort hinunter zu fallen, wäre das Ende gewesen. Er konnte nicht zurück, weil dort die Feinde waren, und er hörte bereits die Hufe ihrer Pferde. Er konnte nicht vorwärts gehen, und es gab keinen anderen Weg.
Plötzlich erinnerte er sich an den Ring. Er öffnete ihn, nahm den Zettel heraus, und darauf stand eine kurze Botschaft von sehr wertvoller Bedeutung. Sie hieß: „Auch dies wird vorübergehen.“ Während er den Satz las, wurde er ganz still. „Auch dies wird vorübergehen.“ Und es ging vorüber. Alles geht vorbei. Nichts ist beständig in dieser Welt. Die Feinde, die ihn verfolgt hatten, hatten sich wohl im Wald verlaufen, hatten wohl einen falschen Weg eingeschlagen. Nach einer Weile konnte er die Laute ihrer Hufe nicht mehr hören.
Der König verspürte große Dankbarkeit gegenüber seinem Diener und jenem unbekannten Mystiker. Diese Worte hatten wie ein Wunder gewirkt. Er faltete den Zettel wieder zusammen, steckte ihn zurück in den Ring. Er sammelte seine Truppen wieder um sich und eroberte sein Reich zurück. Und der Tag, an dem er siegreich wieder in seine Hauptstadt einzog, wurde in der ganzen Stadt großartig gefeiert, mit Musik und Tanz. Er war sehr stolz auf sich selbst.
Der alte Mann ging neben seinem Wagen her. Er sagte: „Auch jetzt ist es wieder der richtige Moment. Schau die Botschaft noch einmal an.“ „Was meinst du damit?“ sagte der König. „Jetzt bin ich siegreich. Das Volk feiert mich. Ich bin nicht verzweifelt; ich bin in keiner ausweglosen Situation.“
„Hör mir zu,“ sagte der alte Mann. „Das hat mir der Heilige damals gesagt: Diese Botschaft ist nicht nur für Zeiten der Verzweiflung; sie ist auch für Zeiten der Freude. Sie gilt nicht nur, wenn du Verlierer bist. Sie gilt auch, wenn du Sieger bist; nicht nur wenn du der Letzte bist, sondern auch wenn du der Erste bist.“
Der König öffnete seinen Ring und las die Botschaft: „Auch dies wird vorübergehen.“ Und plötzlich überkam ihn derselbe Frieden, dieselbe Stille – mitten in der Menge, die jubilierte, feierte und tanzte. Sein Stolz, sein Ego waren verflogen. Alles geht vorüber.
Er bat seinen alten Diener, in seinen Wagen zu kommen und neben ihm zu sitzen. Er fragte ihn: „Gibt es noch etwas? Alles geht vorüber… Deine Botschaft hat mir ungemein geholfen.“ Der alte Mann sagte: „Das Dritte, was mir der Weise damals sagte, war: ,Vergiss nicht, dass alles vorübergeht. Nur du bleibst, du bleibst ewig als Zeuge.’“
Liebe Schwestern und Brüder, Reinhold Niebuhr hat uns gelehrt zu beten: Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann; den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Amen.