Das Gespenst des Säkularismus
Man kann nicht mehr leugnen, dass die Kirche in Deutschland einen schweren Stand hat. Die Missbrauchsereignisse haben die Kirche in das schlechteste Licht gerückt. Die Kirchenaustritte haben erschreckend zugenommen. Es laufen der Kirche einfach die Leute davon, nicht nur die religiös Uninteressierten, ebenso die mit einem hohen Anspruch religiös Suchenden. Manche Diözesen haben in den letzten Jahren ein Drittel ihrer zahlenden Mitglieder verloren und stehen am finanziellen Ruin. Mit der Zusammenlegung von Pfarreien und Umwidmung von Kirchen hat man die Entwicklung keineswegs in den Griff bekommen. Die Maßnahme wird die Entfremdung der vielen keineswegs aufhalten, eher noch fördern. Von oberster Stelle kann man lesen oder hören, es sei der Geist des Säkularismus, der solches Übel verursache. Wirksame Wege zu seiner Überwindung werden nicht genannt, auch nicht an theologischen Fakultäten. Man steht im gesamten kirchlichen Bereich der Entwicklung ratlos und hilflos gegenüber und starrt auf sie wie auf ein Gespenst, das alle lähmt.
Kein Hirtenwort und keine pastorale Anstrengung konnten diese Prozesse bisher aufhalten. Nicht die Kirche verändert die Gesellschaft im Sinne des Sauerteigs, sondern die Gesellschaft hat die Kirche verändert. Die weltanschauliche und religiöse Szene hat in den letzten dreißig Jahren ein anderes Gesicht bekommen. Und dabei wird die Rolle der Kirche immer enger und unbedeutender. Um es pauschaliert und zugespitzt zu sagen: Die Spiritualität ist in die Meditationszentren und esoterische Zirkel ausgewandert, die Seelsorge in die psychologischen Beratungsstellen. Man kann dort Menschen mit einem spirituellen Engagement antreffen, das man in Ordenshäusern oder bei klerikalen Veranstaltungen nicht findet. Ebenso suchen Menschen in ihrer seelischen Not eher beim Psychologen Verständnis und Hilfe als beim Vertreter der Kirche, außer dieser ist selbst darin ausgebildet und dafür beauftragt. Die neuen spirituellen Wege und therapeutischen Ansätze haben den Vorteil, dass sie nicht die Zugehörigkeit und Zustimmung zur Kirche voraussetzen und von allen praktiziert werden können. Sie wollen Menschen entlasten und nicht überfordern. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich, dass die vielfach geübten spirituellen Praktiken, ebenso die therapeutische Methoden, Urchristliches in sich tragen, das aber im Laufe der Geschichte im kirchlichen Raum verloren ging.
Aber auch der moderne Mensch braucht ein größeres Ganzes, Räume und Zeiten, wo seine Seele daheim sein, wo sie sich ausstrecken kann, ebenso die Bilder, die ihrer inneren Struktur entsprechen.
Das Gespenst des Säkularismus verliert von seiner lähmenden Kraft, wenn wir genau hinschauen, worum es den Menschen von heute geht. Sie wollen in ihrer oft so bitteren Geschichte, in ihrer Angst, Einsamkeit und ihrer Sehnsucht nach Glück ernst genommen werden. Dies ist der Weg, wo Gott auch in der modernen Zeit anwesend ist.