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Das Grab ist leer! …

Ostergrab
Datum:
Veröffentlicht: 30.3.22
Von:
Sebastian König, Pastoralreferent
Der kleine Jonathan war körperlich und auch ein wenig geistig behindert und brachte seine Lehrerin manchmal zur Verzweiflung. Bei einem Gespräch mit den Eltern sagte sie deshalb sehr deutlich: „Jonathan gehört eigentlich in eine Sonderschule.“ Die Mutter weinte leise ins Taschentuch. Der Vater ergriff das Wort: „Frau Müller“, sagte er zögernd, „für unseren Sohn wäre das ein furchtbarer Schock, denn es gefällt ihm hier.

Der kleine Jonathan war körperlich und auch ein wenig geistig behindert und brachte seine Lehrerin manchmal zur Verzweiflung. Bei einem Gespräch mit den Eltern sagte sie deshalb sehr deutlich: „Jonathan gehört eigentlich in eine Sonderschule.“ Die Mutter weinte leise ins Taschentuch. Der Vater ergriff das Wort: „Frau Müller“, sagte er zögernd, „für unseren Sohn wäre das ein furchtbarer Schock, denn es gefällt ihm hier. Und weit und breit gibt es keine entsprechende Schule. Und wer weiß, wie lang er noch lebt; sein rätselhaftes Leiden ist unheilbar.“ Nachdem beide gegangen waren, saß die Lehrerin noch lange auf ihrem Stuhl. Sie hatte einerseits Mitleid mit den Eltern und auch mit Jonathan, aber wurden andererseits die übrigen Schüler nicht benachteiligt, wenn sie durch Jonathan oft abgelenkt waren? Und er würde sowieso nie lesen und schreiben lernen! Aber was waren ihre Schwierigkeiten im Vergleich mit denen dieser Familie? Der Frühling kam, die Osterferien rückten näher, und so war denn auch das bevorstehende Osterfest Unterrichtsthema. Die Lehrerin erzählte die Geschichte von der Auferstehung Jesu und sprach von vielen Symbolen neuen Lebens, die das Wunder von Ostern augenfällig machen. Dann gab sie jedem Kind ein Plastik-Ei und stellte die Hausaufgabe: „Bringt es morgen wieder mit, gefüllt mit etwas, das neues Leben zeigt.“ Die Kinder nickten, nur Jonathan schaute sie unverwandt an. „Ob er verstand, was sie über Tod und Auferstehung Jesu gesagt hatte?“ Sie nahm sich vor, seine Eltern anzurufen, um ihnen die gestellte Aufgabe zu erklären. Doch im Räderwerk der täglichen Pflichten vergaß sie es. So nahte am nächsten Morgen die Religionsstunde. Die mitgebrachten gefüllten Plastikeier wurden zum Öffnen auf den Tisch der Lehrerin gelegt. Im ersten Ei befand sich eine Blume. „Ja“, sagte Frau Müller, „eine Blume ist wirklich ein Zeichen neuen Lebens. Wenn die ersten grünen Spitzen aus der Erde ragen, wissen wir, dass es Frühling wird.“ – „Das ist mein Ei!“ meldet sich ein Mädchen aus der ersten Reihe. Das nächste Ei enthielt einen kleinen Schmetterling zum Anstecken, der richtig lebendig wirkte. Die Lehrerin hielt ihn in die Höhe: „Wir wissen alle, dass aus einer hässlichen Raupe ein wunderschöner Schmetterling wird. Ein sehr treffendes Symbol für das neue Leben, das auf uns wartet!“ – „Das ist mein Ei“, lächelt die kleine Judith stolz. Im nächsten fand die Lehrerin einen Stein, mit Moos bewachsen. In einem anderen einen kleinen Osterhasen – weil sie so viel Nachwuchs haben können, gelten sie auch als Symbol für neues Leben. Und so fort. Die Lehrerin wunderte sich, wie viel die Kinder behalten hatten. Sie ergriff das nächste Ei – es war merkwürdig leicht; sie schüttelte es ein wenig: Das Ei war leer. „Das ist bestimmt Jonathans Ei“, durchfuhr es sie und wollte es zur Seite legen, um den Jungen nicht in Verlegenheit zu bringen. Hätte sie doch nicht vergessen, seine Eltern anzurufen! Aber da meldet sich schon Jonathan. „Frau Müller“, sagte er, „wollen Sie nicht über mein Ei sprechen?“ Verwirrt gab sie zur Antwort: „Aber Jonathan – dein Ei ist ja leer!“ Er sah ihr offen in die Augen und meinte leise: „Ja, aber das Grab Jesu war doch auch leer!“ Niemand sprach ein Wort. Als die Lehrerin sich wieder gefangen hatte, fragte sie: „Jonathan, weißt du denn, warum das Grab leer war?“ „O ja“, gab er zur Antwort, „Jesus wurde getötet und ins Grab gelegt. Aber da hat sein Vater ihn herausgeholt und wieder lebendig gemacht!“ Als die Pausenglocke schrillte, und die Kinder nach draußen stürmten, saß die Lehrerin immer noch wie betäubt da und hatte Tränen in den Augen. Hatte nicht dieser zurückgebliebene, Junge von der Auferstehung mehr verstanden als alle anderen Kinder? Drei Monate später war Jonathan tot. Und als die Klasse mit dem Sarg zum Grab zog, wunderten sich manche nicht wenig: Oben auf dem Sarg waren Eierschalenhälften zu sehen, die allesamt leer waren.

nach: Jonathans Ei, Ida Kempel

In wenigen Wochen, am 17. April 2022, feiern wir das höchste Fest des christlichen Glaubens: Ostern.

Die Leere des Grabes Jesu ist das Urereignis des christlichen Glaubens, das Grunddatum der Christenheit. Mit dem leeren Grab beginnt alles. Eine Neuschöpfung ist geschehen, eine Wende, die die alte Welt aus den Angeln hebt. Der ärgste Feind ist niedergestreckt. Der Tod ist besiegt. Einer, der Erste, der Sohn Gottes, ist wiedergekommen von den Toten. „Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden“. Eine gute Botschaft, die beste, die es gibt! Aber ist sie nicht zu schön, um wahr zu sein?
Das grundlegende Bekenntnis unseres Glaubens ist gleichzeitig auch die größte Schwierigkeit, die wir mit dem Glauben haben. Kann das geschehen sein, was uns das Neue Testament von Ostern, von der Auferstehung Jesu berichtet? Ist die Auferstehung wirklich geschehen? Wie kann etwas geschehen, was sich sonst unserem Verstand völlig entzieht? Nicht umsonst berichten deshalb die Evangelisten von der Auferstehung Jesu sehr detailliert. Sie sind um historische Genauigkeit bemüht, um diesen Fragen und Zweifeln zu begegnen und um Gewissheit und Klarheit für den Glauben zu schaffen.

Lukas berichtet (Lk 24,1-12):
Am ersten Tag der Woche gingen die Frauen mit den wohlriechenden Salben, die sie zubereitet hatten, in aller Frühe zum Grab. Da sahen sie, dass der Stein vom Grab weggewälzt war; sie gingen hinein, aber den Leichnam Jesu, des Herrn, fanden sie nicht. Während sie ratlos dastanden, traten zwei Männer in leuchtenden Gewändern zu ihnen. Die Frauen erschraken und blickten zu Boden. Die Männer aber sagten zu ihnen: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden. Erinnert euch an das, was er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war: Der Menschensohn muss den Sündern ausgeliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen. Da erinnerten sie sich an seine Worte. Und sie kehrten vom Grab in die Stadt zurück und berichteten alles den Elf und den anderen Jüngern. Es waren Maria Magdalene, Johanna und Maria, die Mutter des Jakobus; auch die übrigen Frauen, die bei ihnen waren, erzählten es den Aposteln. Doch die Apostel hielten das alles für Geschwätz und glaubten ihnen nicht. Petrus aber stand auf und lief zum Grab. Er beugte sich vor, sah aber nur die Leinenbinden (dort liegen). Dann ging er nach Hause, voll Verwunderung über das, was geschehen war.

Die Frauen kommen am ersten Tag der Woche, also nach dem Sabbat, zum Grab Jesu und können den Toten dort nicht finden. Das Grab ist leer. Sie begegnen einer ganz neuen Wirklichkeit, die ganz und gar unvorstellbar für sie ist. Sie werden mit einer neuen Realität konfrontiert.
Es ist der gleiche Schritt des Glaubens, der auch uns heute noch zugemutet wird. Eine neue Wirklichkeit, eine neue Realität ist geschaffen und wir sind dazu aufgefordert, uns dazu zu verhalten, ins Verhältnis zu setzen, mit dieser neuen Wirklichkeit umzugehen, ihr zu vertrauen oder sie abzulehnen.
Ohne leeres Grab wäre alles nur ein Hirngespinst, es wäre eben gerade nicht wahr, dass Jesus auferstanden ist und dem Tod die Macht genommen hat. Das leere Grab ist deshalb ohne Frage das wichtigste Zeichen, der wichtigste Hinweis für den Osterglauben.

Wesentlich zur Glaubhaftigkeit trägt auch bei, dass die vier Evangelisten in den wesentlichen Punkten sachlich gleich berichten, sich aber in den Details unterscheiden. Kein abgeschriebener oder abgesprochener Bericht also. Vielmehr ergänzen sich die vier Berichte einmalig zu einer umfassenden Dokumentation, ohne sich zu widersprechen. Wie auch wir eine erzählte Geschichte nuancieren würden, tun sie es auch, je nachdem was dem Einzelnen zu berichten wichtig erscheint.

Es wäre auch unrealistisch zu glauben, dass der Glaube Bestand hätte, wenn er nicht auf einer Tatsache beruhen würde?
Charles Colson hat sich genau darüber Gedanken gemacht. Er war Chefberater des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon und tief in die Watergate-Affäre verstrickt.
Am 17. Juni 1972 war in das Hauptquartier der Demokratischen Partei Watergate in Washington D.C. eingebrochen worden. Das Verbrechen sollte vertuscht werden, aber innerhalb eines Monats nachdem das Gerichtsverfahren begonnen hatte, stellten sich drei der Beteiligten und trugen somit zur Aufklärung der Verschwörung bei.
Colson schrieb später darüber: „Was ich in der Watergate-Affäre erlebt habe, war die Unfähigkeit mächtiger und motivierter Männer, eine Verschwörung aufrecht zu erhalten, die auf einer Lüge aufgebaut ist.“
Und im Hinblick auf den christlichen Glauben urteilt er: „Die Jünger Jesu nahmen ihre mögliche Hinrichtung in Kauf, weil sie tatsächlich gesehen hatten, dass Jesus von den Toten auferstanden war. Es gab keine Verschwörung. Menschen geben nicht ihre Behaglichkeit auf und schon gar nicht ihr Leben für etwas, wovon sie wissen, dass es nicht stimmt.“
Das Grab des Auferstandenen ist und bleibt der Dreh- und Angelpunkt des Glaubens. Eine ganz neue Bewegung kommt in Gang. Der Weg zum Grab führt weg vom Grab. Der Weg zum Grab führt auf den Weg zum Leben. Auf ihm lässt sich der Gekreuzigte finden, ja er ist schon da und sagt: „Fürchtet euch nicht!“

Jonathan zweifelt nicht, hat mehr verstanden als viele andere, die vom leeren Grab unbeeindruckt bleiben. Der Ort des Todes ist leer. Es wurde zum Geburtsort des Lebens. Die Wachen stürzen zu Boden, wie tot. Die Hüter des Todes können die Übermacht des Lebens nicht aufhalten und verhindern.
Da, wo der Tod war, ist jetzt freier Raum. Jonathan hat’s begriffen. Deshalb war sein Plastik-Ei leer geblieben. Er, der Gekreuzigte, ist nicht mehr am Orte des Todes, er ist an den Ort des Lebens versetzt; und wir mit ihm, wenn wir ihm vertrauen wie die Frauen damals.

Damit haben auch auf unseren Särgen einmal leere Eierschalenhälften ihr volles Recht.