„Der Zweifel ist fester Bestandteil des Glaubens“
Jesus und Thomas (Joh 20,24-29): Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger aus – hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott!
Mit dem Karfreitag beginnen die heiligen drei Tage der Osterzeit und sie enden mit der Auferstehung Jesu am Ostersonntag. Eine Zeit der Zweifel und der Fragen, aber auch des Erkennens, auch bei Jesus selbst.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ schreit Jesus am Kreuz zu Gott. - Tiefster Zweifel, - denn auch Jesus ist Mensch. Und doch siegt am Ende das Vertrauen: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“
Die Passionsgeschichte führt uns immer wieder an Grenzbereiche unseres Glaubens. Wie hätten wir in dieser Zeit damals dagestanden, ohne das Wissen des dritten Tages?
Oder sollten wir ganz anders fragen? Kann es Glauben oder besser gesagt Vertrauen ohne das Pendant des Zweifels überhaupt geben? Jesus spricht immer vom Weg zu Gott. Und dieser Weg kann nur sinnvoll sein, wenn das Mühen um den Glauben nach und nach die Zweifel besiegt und durch die vielen Etappen auf diesem Weg das Vertrauen immer mehr gefestigt und damit wertvoll wird. Jesus teilt mit seinem Zweifel am Kreuz unseren Zweifel und versteckt sich nicht hinter ihm.
Menschliche Urteile über ihn sind in der Passionsgeschichte genau notiert. Wir müssen uns entscheiden, oder besser gesagt mühen, den richtigen Weg zu finden. Es ist an uns, inmitten all dieser unterschiedlichen Urteile Stellung zu ihm zu beziehen, oder besser gesagt, uns auf den Weg zu ihm zu machen.
Wir können sagen: „Ein Hochstapler! Wer nennt sich schon selbst Gottes Sohn?“ Oder: „Welch ein armer, blauäugiger Narr, der glaubt, wenn man sich nicht wehrt, ändert sich die Welt!“ Wir können sagen: „Ja, ein besonderer Mensch, dem ein Platz in der Weltgeschichte gebührt!“
Oder aber wir können dem römischen Hauptmann nachsprechen „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.“
Jede Entscheidung, jeder Weg trägt den Zweifel zwangsläufig in sich. Thomas, das könnte auch ich sein. Zweifeln heißt nachfragen, heißt um Antworten ringen, heißt nicht mit der Masse mitlaufen, heißt sich bemühen um den richtigen Weg. Leichter wäre es für ihn bestimmt gewesen, einfach das zu sagen, was alle sagen; einfach einzustimmen in den österlichen Lobgesang der Auferstehung. Leichter jedenfalls wäre es gewesen, als für sich den richtigen Weg zu finden, beauftragt durch den eigenen Zweifel. Er will selbst prüfen und erleben und nicht aus „zweiter Hand“ leben. Damit gerät er in den Mittelpunkt der Geschichte nach dem Ostersonntag.
Der „ungläubige“ Thomas! Geradezu sprichwörtlich ist er geworden! Abqualifiziert als einer, der es immer noch nicht verstanden hat, was die anderen längst erkannt haben. Als fortwährender Zweifler steht er da, der sich einfach nicht überzeugen lassen will, der sich abgrenzen will, für seine Sonderrolle.
Dabei möchte er doch nur vertrauen können, so gerne glauben können. Würde er sonst so intensiv suchen und fragen? Und wie viele suchen mit ihm. Hin- und hergerissen ist Thomas zwischen dieser Sehnsucht nach Heil-Sein und der Sehnsucht nach Echtheit und Wahrhaftigkeit.
Viele versuchen, diesen Zwiespalt zu lösen, indem sie ihre eigenen Fragen und Probleme nicht mehr wahrzunehmen wagen. Sie treten die „Flucht in die Gewissheit“ an. Sie passen sich an, bekennen mit, wenn alle das tun, stimmen ein in das, was alle sagen. Sie brauchen den Schutz der Gruppe, der Gemeinschaft, sie wollen unbedingt dazugehören. Sie schlucken lieber ihre Fragen und Zweifel hinunter: Hauptsache, ich muss nicht allein sein mit meinen Ängsten. Zu groß ist die andere Angst – nämlich die, sonst plötzlich draußen zu stehen, schutzlos, nicht mehr dazuzugehören.
Thomas zeigt uns durch seinen Weg: Neuanfang gibt es nicht an den alten Wunden vorbei. Vergebung fegt nicht einfach unter den Teppich, was wir einander angetan haben, im Gegenteil: Sie braucht den Blick auf das, was gewesen ist. Wir können frei, hoffnungsvoll und zuversichtlich leben mit dem, was war! Doch dazu ist es manchmal nötig, den Finger - noch einmal - in die Wunde zu legen, die alten Schmerzen vielleicht noch einmal wachzurufen, Tränen und Trauer nachzuholen, damit die alten Verletzungen heilen können!
Das Wunder von Ostern ist, dass mit dieser Berührung nicht alles zusammenbricht, sondern, dass es gerade weitergeht, wenn ich mich nicht mehr verstecken muss, endlich zugeben kann, was mich so lange gequält hat. Das sind Erfahrungen, die nicht verfügbar sind, nicht planbar sind.
Thomas erkennt: „Mein Herr und mein Gott.“ Er verkörpert mit seinen Zweifeln den Mut zur Unsicherheit und zum Fragen – den Mut zum Leben! - Den Mut, Fragen nicht sofort zuzuschütten mit vorschnellen Antworten, sondern ihnen standzuhalten und zu warten. Den Weg zu gehen.
Diesen Mut wünsche ich Ihnen von Herzen, besonders in dieser Zeit, die Fragen doch so dringend nötig hat.