Ein Fest für Lebenswenden
Liebe Gemeinde,
jede Geburt wird von der Frage begleitet: „Was wird wohl aus diesem Kind werden? Wie wird es aufwachsen? Was wird ihm in seinem Leben alles widerfahren? Und viele Fragen mehr drängen sich auf“ (vgl. Lk 1,66). Im Verlauf des Lebens bekommt die gleiche Frage, besonders an Lebenswenden, eine ganz neue Brisanz. Man fragt sich selbst: „Was ist aus mir geworden?“, „Wo will ich hin mit mir?“
In einem Lied von Wolf Biermann heißt es:
„Das kann doch nicht alles gewesen sein, das bisschen Sonntag und Kinderschrein. Das muss doch noch irgendwo hingehen. Das soll nun alles gewesen sein? Das bisschen Fußball und Führerschein? Das war nun das donnernde Leben?“
Steht Johannes der Täufer auch vor dieser Frage?
Er ist seiner Berufung gefolgt. Der laute Ruf seines Wirkens geht vom Ufer des Jordan bis hinauf in die Hauptstadt Jerusalem. Sein Rufen macht auch vor den Mächtigen Jerusalems nicht halt; er nimmt in seinem Zorn kein Blatt vor den Mund und setzt den Stachel in ihr Fleisch. Er klagt und spricht das Unrecht offen und klar an. Und immer wieder und immer mehr stößt Johannes mit seiner Botschaft bei den Menschen auf offene Ohren. Sie kommen zu ihm in Strömen. Sie suchen seinen Rat. Sie wollen ihr Leben verändern und dafür ein Zeichen setzen, ein Zeichen des Neubeginns; Die Taufe. Im Zeichen der Taufe können sie neu anfangen. Die Taufe als sichtbares Zeichen der Umkehr, der Veränderung, des Zugehörens zu Gott.
Doch dann tritt Jesus in Erscheinung. Beide, Jesus und Johannes, finden ihre Anhänger – und wie kann es unter Menschen anders sein: Sie geraten in Streit. Aber statt sich zu behaupten und den Streithähnen den Rücken zu stärken, rückt Johannes die Gedanken zurecht. Auf dem Höhepunkt seines Wirkens verkündet er mit dem Blick auf Jesus: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“
Johannes sagt dies ohne eine Spur von Resignation. Als Gläubiger und nicht als Konkurrent hört er, was Jesus sagt. „Er tauft mit Feuer, ich taufe nur mit Wasser“, sagt Johannes, der Wegbereiter Jesu. Er ist der Wegbereiter des Herrn und er hat Jesus getauft nach seinem Streitgespräch mit ihm: „Ich müsste von dir getauft werden und du kommst zu mir“, sagt Johannes. „Lass es für jetzt zu“, antwortet ihm Jesus und Johannes gibt nach.
Was können wir aus diesem entscheidenden, einschneidenden Geschehen im Leben des Johannes für uns Positives ziehen? Was könnten die Schlussfolgerungen daraus sein? Welchen Einfluss hat dieses Tun für uns?
Diese Handlungswende hin zu Jesus, - ihn -, Jesus zu taufen, ist nicht Ende, sondern Beginn. Beginn eines neuen Wegs in eine neue Richtung für uns alle. Und auch Johannes sieht in dieser Wende kein Ende, sondern die Zukunft. Darauf hat er hingearbeitet. Der Einladung zur Taufe zu folgen, bedeutet nun, für alle Zukunft, an den Ort der Taufe Jesu zu treten und so in seiner Identifikation mit uns unsere Identifikation mit ihm zu empfangen, um damit der Auferstehung gewiss zu sein. Welch ein Anfang für Johannes, welch ein Anfang für uns, kein Ende, sondern die Zukunft. Unvorstellbare unendliche Zukunft der Auferstehung.
„Was kann mir geschehen, ich bin getauft“, mit diesen Worten hat der Mönch Martin Luther sich in schweren Stunden wieder Mut und Gottvertrauen geschaffen. Was kann mir geschehen, ich bin getauft. Vielleicht hilft es uns, an den Kreuzungen unsers Lebens etwas zuversichtlicher zu sein durch das Beispiel des Johannes und vor allem und viel mehr noch durch unsere Taufe. Die Tür zu erkennen, die sich öffnet und eine neue Perspektive frei gibt. Was kann mir geschehen, ich bin getauft.
Johannes schafft es, diesen Augenblick in seinem Leben zu erfassen, indem er sich dieser größeren Macht überlassen kann, die nun in seinem Leben Raum gewinnen will. „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“
Und das können wir auch. Unser Weg ist bereitet, wir sind getauft. Damit können wir uns persönlich zurücknehmen und vieles ruhiger und gelassener betrachten. Wir sind getauft. Damit ist uns, wenn wir es ernst nehmen, die Angst genommen. Wir sind getauft.
Der Beginn des Werdens liegt an Weihnachten in der Krippe, aber mit unserer Taufe können wir Jesus in uns wachsen lassen. Daher heißt es bei Angelus Silesius, dem Theologen und Lyriker: „Wär' Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärst auf ewig noch verloren.“ Diesen Christus in mir selbst gilt es, auszutragen - in dieser Welt. Er will in uns wachsen. Johannes schafft es, diesen Augenblick in seinem Leben zu erfassen.
Wollen wir versuchen, es ihm gleich zu tun.