Ein Jahr ohne Prozessionen
Morgen wäre es wieder soweit. Die über die Stadtgrenzen hinaus bekannte und geschätzte Fronleichnamsprozession würde sich durch die engen Straßen und Gassen Bambergs schlängeln. Zahlreiche Menschen hätten zuvor mit dem Erzbischof einen Gottesdienst auf dem Domplatz gefeiert und sich dann singend und betend auf den Weg gemacht, um Jesus Christus in der Gestalt der Hostie, prunkvoll und kostbar umrahmt in einer Monstranz, durch die Stadt zu geleiten. Zahlreiche Schaulustige würden am Straßenrand stehen und dieses „Heilige Schauspiel“ mit ihren gezückten Smartphones filmen oder photographisch festhalten. Auch unangenehme und teils auch „peinliche“ Momente würden wieder stattfinden, wenn sich beispielsweise an den geöffneten Cafés Prozessionsteilnehmer und sitzende, den Kaffee schlürfende Gäste „gefährlich“ nahe kommen oder sportlich gekleidete Joggerinnen und Jogger oder Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer den Prozessionzug gedankenversunken kreuzen oder eilig überholen.
Mich persönlich stimmen diese Erfahrungen immer sehr nachdenklich. Was machen wir da eigentlich und wie werden wir als betende und singende Gemeinschaft von außen wahrgenommen? Welche Relevanz hat das Ganze überhaupt noch für unsere Gesellschaft und auch für mich persönlich? Werden solche Traditionen auch in 20, 30, … Jahren noch stattfinden oder hat sich Vieles im wahrsten Sinn des Wortes „totgelaufen“?
In unserem Seelsorgebereich gibt es eine Vielzahl an großen und kleineren Prozessionen. Allen gemein ist, dass wir dadurch immer wieder unseren christlichen Glauben nach außen tragen und bewusst oder unbewusst Zeugnis davon abgeben.
Auch wenn es seinen Reiz hat, eher an liebgewonnenen Traditionen festzuhalten als sie aufzugeben, gilt es meiner Meinung nach dennoch immer wieder, kritisch zu hinterfragen, warum wir das eigentlich machen? Welcher religiöse Wert steckt dahinter und mit welcher inneren Haltung nehmen wir daran teil? Andernfalls laufen wir Gefahr, dass Prozessionen nur ein frommes Schauspiel sind, sinnentleert und hohl daherkommen.
Vielleicht ist ja die Corona-Zeit, in der momentan keine Prozessionen stattfinden können, eine Chance, darüber nachzudenken, was mir eigentlich fehlt oder auch nicht.
In der Hoffnung, dass Sie für sich eine stimmige Antwort finden, wünsche ich Ihnen, dass Sie gut durch diese prozessionsfreie Zeit kommen.