Mein Anker
Liebe Schwestern und Brüder, was ist das: Wenn man ihn braucht, wirft man ihn weg; wenn man ihn nicht braucht, holt man ihn zu sich? – Antwort: ein Anker! Der Anker ist tatsächlich an einem Schiff ein Gegenstand, den man nicht so oft braucht. Wir spüren es in diesen Tagen sehr heftig. Unsere sozialen Bindungen, die täglichen Abläufe und viele weitere Dinge verändern sich in diesen Tagen sehr spürbar, ja sehr heftig. Wir begegnen uns in Distanz und Angst ist für viele sehr intensiv spürbar. Was sind meine Anker im Leben, die mir Halt schenken?
Was gibt mir und Dir Halt? Bei Jesus Christus kann ich ihn finden, meinen Ankerplatz. Da kann ich festmachen. Da wird mein Lebenssegelschiff zum Hausboot. Weil ich da bleiben darf und kann – und will, mit jeder Faser meines Lebens hängen bleiben will – bei dem Christus.
Anker halten Schiffe fest. Aber wenn die Schiffe unterwegs anhalten müssen, weil die Fahrt unsicher wird, dann lässt man einen Anker hinab, seine Arme krallen sich tief in den Boden. Manchmal muss ein Schiff warten, weil der Hafen nur bei Flut zu befahren ist. Weil scharfe Felsen sonst das Boot zerstören würden. Und dann ankert man draußen, man kann den Hafen schon sehen, aber man muss abwarten, bis das Wasser sicher ist. Der Anker ist ein altes christliches Symbol für die Hoffnung. Kreuz, Herz und Anker sieht man manchmal zusammen: das steht für „Glaube, Liebe, Hoffnung“. Der Anker symbolisiert die Hoffnung: Ich kann mich auf Gott verlassen. Auch wenn es noch so stürmisch um mich herum ist. Dann, wenn ich kein Land und keinen Hafen mehr sehe. Auch dann, wenn ich das Gefühl habe, dass andere sich über mich das Maul zerreißen. Er gibt mir Halt. Er hält mich an dem Ort, an dem ich bin.
Hoffnung ist nicht so gut sichtbar wie der Anker eines Schiffes. Doch wie der Anker nicht selbst Halt gibt, sondern ein Schiff am Grund festmacht, ist es auch mit der Hoffnung. Nicht sie selbst gibt mir den Halt, den ich brauche. Sondern Hoffnung dient dazu, dass ich mich woanders festmachen kann. Ein Anker, der nur am Schiffsbug hängt, kann keinen Halt geben. Genauso kann ich mir nicht selbst den Halt geben, den ich brauche. Wie beim Anker scheint es mit der Hoffnung paradox: Je mehr Halt ich benötige, umso mehr muss ich loslassen!
Ankern will gelernt sein und braucht Übung. Ein verantwortungsvoller Kapitän wird seine Ankerkette regelmäßig überprüfen, damit der Anker im Bedarfsfall auch hält. Genauso sollte man seine Hoffnung nicht einrosten lassen, sondern sie immer wieder aktivieren.
Der ehrlichste Ort der Welt – so hat einmal jemand gesagt – ist das Wartezimmer einer Intensivstation: Nichts zählt mehr dort: Nicht die Erfolge und Ehrungen eines Lebens, keine Diplome und kein Geld: Nur noch die Frage: „Wird mein Mann oder meine Frau, wird mein Vater oder meine Mutter diese Nacht überstehen?“ Unser Glaube an den auferstanden Jesus aber dringt selbst in diese Welt hinein.
Ein kleines Kind hat blindes Vertrauen in die feste Bindung an die Eltern. Steht das Kind oben auf einer Mauer und der Vater steht unten und ruft: „Spring in meine Arme“ dann springt das Kind, ohne zu zögern und wird sicher gefangen. Aus der engen Bindung zu den Eltern gewinnt das Kind Freiheit und Sicherheit.
Wenn man den Anker an der Kette vom Schiff fallen lässt, sieht man nicht, wohin der Anker fällt. Weil man nicht sehen kann, wie viel Halt der Anker wirklich gibt, muss man die Ankerkette langsam immer stärker belasten und so die Verlässlichkeit testen. Wenn Schiffe einen Sturm am Anker abwettern wird zusätzlich immer eine Ankerwache aufgestellt. Erst wenn ein Schiff wirklich lange und fest an einer Stelle liegt, weiß man, dass man dem Anker vertrauen kann.
Glaube, Liebe, Hoffnung: Der Apostel Paulus weiß, dass es im Leben auf genau diese drei ankommt. Davon schreibt er der Gemeinde in Korinth: „Es bleiben aber Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Die Liebe aber ist die Größte unter ihnen.“ Die Liebe ist die Größte, denn aus der Liebe Gottes zu uns erwächst unsere Liebe, erwächst unser Gottvertrauen und erwächst unsere Hoffnung.